B. O'Halloran: The Political Economy of Classical Athens

Cover
Titel
The Political Economy of Classical Athens. A Naval Perspective


Autor(en)
O'Halloran, Barry
Reihe
Mnemosyne Supplements
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 381 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University, Changchun China

Die Neue Institutionenökonomie als (All-)Heilmittel der tiefen Wunden, welche die Jahrhundertdebatte zwischen Primitivisten/Substantivisten und Modernisten/Formalisten in die Antike Ökonomie geschlagen hat, bricht sich immer mehr Bahn, so auch in der vorliegenden, flüssig verfassten Analyse der politischen Ökonomie Athens unter besonderer Berücksichtigung der Seefahrt von der spätarchaischen bis in die klassische Zeit. O’Halloran setzt dabei als Ziel seiner überarbeiteten Dissertationsschrift, jenseits der traditionellen Forschungskonzentration auf politische und kulturelle Entwicklungen im klassischen Athen das Zusammenwirken von Schiffsbau und wirtschaftlichem Fortschritt sowie die Auswirken auf die politische Organisation der athenischen Bürgerschaft herauszuarbeiten. Er folgt damit in gewisser Weise seinem externen Doktorarbeitsgutachter, Hans van Wees, der sich intensiv dem Verhältnis von Steuern, Schiffsbau – vor allem des Baus von Trieren –, der ersten Ausprägung von Münzgeld sowie der aufkommenden Staatlichkeit des archaischen Athen gewidmet hat.1

Hierfür fährt er zunächst eine volle, zuweilen auch polemische Breitseite gegen die schrittweise Herausbildung der primitivistischen Orthodoxie seit der berühmt-berüchtigten Bücher-Meyer-Kontroverse und innerhalb der Finley-Schule, deren Fokussierung auf den oikos, Status und politisch-moralisches Denken wie Handeln er insbesondere tadelt (Kapitel 1). Hiervon setzt er sodann neuere Forschungsansätze ab (Kapitel 2), wobei er sich für die Erforschung von Institutionen und die Annahme eines materialistisch orientierten (wirtschaftlichen) Handelns stark macht, das auf der Ebene größerer sozialer Gruppen und Gemeinschaften vor allem mit der malthusianischen Falle konfrontiert gewesen sei und in Eroberungszügen, verstärktem Handel oder Kolonisationsbewegungen gemündet habe. Insgesamt schreibt O’Halloran diese Kapitel sichtbar cum ira et studio, er simplifiziert und wird in vielen Fällen der differenzierten Argumentation der altertumswissenschaftlichen Forschung nicht vollauf gerecht.2

Mit dem dritten Kapitel betritt O’Halloran dann seinen spezifischen Zugang zum Thema, indem er den institutionenökonomischen Ansatz, den homo oeconomice agens mit dem Modell der Pfadabhängigkeit verknüpft. Dies bedeutet verkürzt, das bestimmte poleis einen einmal eingeschlagenen Weg zum Umgang mit den wirtschaftlichen Restriktionsfaktoren nur schwer verlassen konnten, sich daher bestimmte Richtungsentscheidungen auch dauerhaft und historisch signifikant auswirkten und ein unverkennbares politisch-ökonomisches Profil zeitigten. Im Folgenden an Forschungen zur Gewaltstrategien anknüpfend (vgl. Kapitel 3–5) wird so die Land- und Versorgungsknappheit Athens (im Gegensatz zu Sparta) zum Antriebsfaktor für den Schiffsbau, um auf diesem Wege regionale, später auch überregionale Versorgungsnetzwerke, zur Not auch mit militärischer Gewalt zu beherrschen. Dagegen sei Spartas Land- und damit Versorgungsbeherrschung Hand in Hand mit der Hoplitenarmee gegangen, seine maritimen Ambitionen seien nur von kurzlebiger Dauer gewesen. Athen habe diesen Pfad nicht in einer einmaligen Aktion – in den antiken Quellen und der modernen Forschung zumeist dem Themistokles zugeschrieben – eingeschlagen, sondern dies sei, besonders in der Übernahme des Trierenbaus anstatt von Penteren, in einer Transformationsphase von solonischer bis in kleisthenische Zeit erfolgt, wobei wie bei van Wees gerade auch die Tyrannis der Peisistratiden einen Spiegel des Nebeneinander von Altem und Neuen bildet. Mit Ägina und den Persern habe es zudem Konkurrenz gegeben, die die entsprechenden Bemühungen Athens intensiviert hätten.

Den sich für einige Zeit selbsterhaltenden ökonomischen Kreislauf entwirft O’Halloran in den folgenden Kapiteln (Kapitel 6–9): Basierend auf der Erschließung von Silbervorkommen vor allem im Laureion, der nachhaltigen Monetarisierung der athenischen Gesellschaft und den Investitionen in den überlebensnotwendigen Schiffsbau (unter Adaptation neuer Technologien) samt der Finanzierung durch Liturgien und der ferner benötigten Infrastruktur (Hafenanlagen, Schutzmauern usw.) habe sich Athen eine wirtschaftliche Nachfrage sondergleichen geschaffen, die etwa einen ausdifferenzierten Arbeitsmarkt oder staatlich-politisch motivierte wirtschaftliche Expansion hervorgebracht habe, so beispielsweise zur Erschließung von Holzvorkommen in Thrakien oder zur Kontrolle der Getreideversorgung durch Eingriffsversuche in interdependente, generell freie Märkte. Hier hätte man sich doch eine tiefere Auseinandersetzung mit der jüngst und daher für eine volle Würdigung wohl zu spät erschienenen Arbeit von Josiah Ober, mit dem Sammelband von Edward Harris, David Lewis und Mark Woolmer sowie mit dem 2016 ins Englische übersetzten, von der Institutionenökonomie geleiteten Opus von Alain Bresson, aber auch mit der nicht geringen deutschsprachigen Forschung, allen voran der Gegenposition zu Marktinterdependenzen von Armin Eich, gewünscht3; neuere Ansätze und Forschungsentwicklungen dürften hier einige Bewegung in die zahlreichen Einzeldebatten bringen.4

Mithilfe der Analyse der Zusammensetzung der Schiffsbesatzungen im zehnten Kapitel fordert O’Halloran einmal mehr die rein politische Interpretation der Schiffshoheit Athens heraus, die in den rudernden Theten allein die Basis für die demokratische Entwicklung sehe, ökonomische Aspekte wie Monetarisierung durch Bezahlung oder den Einsatz von Metöken, Söldnern und sogar Sklaven aber vernachlässigt habe. Für das eine oder das andere wird allerdings schwer auf Grundlage der derzeit verfügbaren Quellen eine Entscheidung gefällt werden können, zumal sich politische Ideen und ökonomische Anreize nicht ausschließen und antike wie moderne Klassenbewusstseinsäußerungen und -(re)konstruktionen jeweils im Kontext gelesen werden sollten.

In den beiden Abschlusskapiteln widmet sich O’Halloran den Auswirkungen „seines“ Kreislaufs auf Handeln und Denken im Athen, vor allem des 4. Jahrhunderts v.Chr., wo die Quellen reichlicher fließen. Militärische Ausgaben sowie Arbeits- und Warenmärkte werden dabei ebenso wie die Reflektion über Marktmechanismen etwa in Platons Politeia in Erwägung gezogen5 – stets ist dabei die politische Schiffsökonomie der Hauptfaktor, um Nachfrage à la Keynes (im Gegensatz zum modernen Angebotsfokus in den Wirtschaftswissenschaften) zu erzeugen. In einer Zusammenfassung bringt er seine Thesen sodann noch einmal pointiert zu Papier. Lesenswert, da diskussionswürdig ist sein Appendix zu den Quellen (S. 327–340), in dem er zu Recht vor einer unkritischen Lesung antiker Historiographie und literarischer Quellen überhaupt warnt; selbige kritische Distanz hätte sich der Rezensent namentlich auch für die epigraphischen Quellen gewünscht, die von O’Halloran jedoch eher als dokumentarische Fakten gewürdigt werden.

Somit bleibt ein gemischtes Gesamturteil nach der Lektüre: Es ist wohltuend, den Perspektivwechsel zu sehen, den nicht nur O’Halloran und die von ihm vor allem herangezogene englischsprachige Forschung in Bezug auf die Wirtschaft Athens vollzogen haben. Ob allerdings die Antwort nach dem wirtschaftlichen Denken und Handeln in Athen und darüber hinaus rein in einer politischen Ökonomie liegt, mag man aufgrund der sehr einseitigen Quellenlage, die vor allem staatliches bzw. staatlich bezogenes Handeln (und zwar sowohl in literarischen wie nicht-literarischen Quellen) tradiert, durchaus in Zweifel ziehen. Inwieweit O’Halloran und andere dabei dem gerade vorherrschenden Narrativ der staatlichen Beherrschung(snotwendigkeit) ökonomischer Kräfte erlegen sind und – in diesem Sinne analog zu Finley – ihre Zeitumstände in die Antike hineinschreiben, vermag nur die Zukunft zu zeigen.6

Anmerkungen:
1 Hans van Wees, Ships and Silver, Taxes and Tribute. A Fiscal History of Archaic Athens, London 2013.
2 So etwa bei der Erklärung der Ursachen für die sogenannte Große Kolonisation, vgl. dazu jetzt die pointierte Diskussion der uns bis heute leitenden Forschungskategorien und -konzeptionen bei Frank Bernstein, „Ionische Migration“ vs. „Große Kolonisation der Griechen“. Kategorien und Konsequenzen, in: Historia 68 (2019), S. 258–284. Zu anderen Ansätzen in der Antiken Ökonomie siehe den „Research Survey: The Ancient Economy – New Studies and Approaches“ mit folgenden Beiträge: Introduction (Sven Günther); Ancient Greece (Sven Günther); Ancient Rome (Including Greco-Roman Egypt) (Patrick Reinard); Das alte Vorderasien (Hans Neumann); Zur Ökonomie Ägyptens bis zum Ende des Neuen Reiches (Heidi Köpp-Junk); The Formation and Features of Ming / Qing Imperial Agro-mercantile Society (Zhao Yifeng), in: Journal of Ancient Civilizations 32 (2017), S. 55–67, 69–81, 83–105, 185–210, 211–228 und 229–255.
3 Josiah Ober, The Rise and Fall of Classical Greece, Princeton 2015; Edward Harris / David Lewis / Mark Woolmer (Hrsg.), The Ancient Greek Economy. Markets, Households, and City-States, Cambridge 2016; Alain Bresson, The Making of the Ancient Greek Economy. Institutions, Markets, and Growth in the City-States. Trans. Steven Rendall, Princeton 2016; Armin Eich, Die politische Ökonomie des antiken Griechenland (6.–3. Jahrhundert v.Chr.), Köln 2006.
4 Dazu in Kürze: Sven Günther / Dorothea Rohde (Hrsg.), 200 Years after August Boeckh’s The Public Economy of the Athenians – Perspectives of Economic History for the 21st Century, Journal of Ancient Civilizations 34 (2019), 2 (im Druck), Changchun 2019, mit Beiträgen von Alain Bresson, Armin Eich, Christophe Flament, Wolfgang Franzen, David Pritchard, Josiah Ober sowie den Herausgebern.
5 Zum wirtschaftlichen Denken bei Plato vgl. Sabine Föllinger, Ökonomie bei Platon, Berlin 2016.
6 Derlei Ordnungsrahmenverschiebungen gab es bereits in der Antike, vgl. Sven Günther, (K)einer neuen Theorie wert? Neues zur Antiken Wirtschaftsgeschichte anhand Dig. 50,11,2 (Callist. 3 cognit.), in: Gymnasium 124 (2017), S. 131–144.

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